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Seit September 2022 konnten durch das Pfarr- und Ortsarchiv Reifenberg zahlreiche, interessante Kenntnisse zum sogenannten "Mühlbachhaus" und der Nadlerindustrie ermittelt werden.

Die Geschichte des Hauses warf einen völlig neuen Blick auf die Nadler-Fabrikation in Nieder- und Oberreifenberg, sowie den bisher ältesten, bekannten Besitzer des Hauses, Reinhard Wagner und dessen Familie. Außerdem gaben die Forschungen Aufschluss über das Umfeld der Familien sowohl in Nieder- als auch in Oberreifenberg.

Die wichtigsten, neuen Erkenntnisse kurz zusammengefasst:

  • Das Mühlbachhaus war nie eine Nagelschmiede, sondern wurde 1841 von der Nadlerfamilie Wagner erbaut, die aus Arnoldshain stammte und zuerst nach Oberreifenberg zog. Von dort heirateten einige nach Niederreifenberg und siedelten über, blieben aber Nadler. Reinhard II., wohnhaft im Mühlbachhaus, war das Patenkind seines Onkels Reinhard I., der in Oberreifenberg lebte.
  • Die Nadler-Fabrikation in Ober- und Niederreifenberg war, bis auf einen Standort in Hachenburg, im Herzogtum Nassau einzigartig! Mitte des 19. Jahrhunderts hat sie sogar die Beschäftigungszahlen der Nagelschmieden überflügelt und war der wichtigste Berufs­zweig vieler Familien, sowohl in Nieder- als auch in Oberreifenberg.
  • Die Familie Ungeheuer führte ursprünglich Mitte des 18. Jahrhunderts die Herstellung in Niederreifenberg ein. Ein Georg Ungeheuer lebte zunächst in Ehlhalten, zählte dann aber zu den Neubesiedlern Seelenbergs im Jahre 1695. Sein Sohn, Johann Philipp, heiratete nach Niederreifenberg. Er und die nachfolgenden Generationen erlernten das Nadler-Handwerk der Drahtwaren-Herstellung während ihrer Lehrzeit in Durlach. Einige davon wurden sogar in Durlach geboren, sind aber wieder nach Niederreifenberg zurückgekehrt.
  • So auch Johann Anton Ungeheuer. Er betrieb als Erster das "Alte Feldberghaus" und war Errichter des "Haus Reifenberg". Er war zudem langjähriger Bürgermeister von Ober­reifen­berg. Sein Bruder Johann schlug die gleiche Berufslaufbahn ein; auch er war Nadler und zugleich lange Jahre Bürgermeister in Niederreifenberg. Beide Brüder erlernten das Handwerk in Durlach.
  • Die ursprünglichen Gebäude des Haus Reifenberg gehörten wohl der badischen Familie Quicker (vermutlich aus Durlach). Sie kamen sicherlich aufgrund von Beziehungen zu den Ungeheuers nach Reifenberg. Johann Anton Ungeheuer heiratete Elisabeth Quicker. Die Wiege ihres Vaters, Johann Georg Daniel Quicker, stand auch bereits in Reifenberg.
  • Direkt nebenan, wo noch heute der 1911 gebaute Saal steht, stand das Haus des Reinhard Wagner I. aus Arnoldshain. Dort ist vermutlich auch sein Neffe und Patenkind Reinhard Wagner II. groß geworden, dessen uneheliche Mutter bei seiner Geburt starb.
  • Die Wagner-Häuser in Ober- und Niederreifenberg weisen völlig identische Außenmaße auf. Einziger Unterschied: das Haus in Oberreifenberg hatte zwei Stockwerke, das Wagner-Haus ("Mühlbachhaus") in Niederreifenberg nur einen Stock. Da das Nadlerhaus Wagner in Niederreifenberg gleiche Maße hatte, ist es extrem naheliegend, dass es von Reinhard II. oder seinem Onkel Reinhard I. gebaut wurde.
  • Reinhard Wagner II. und sein "Bruder" Josef (ein leiblicher Sohn Reinhards I.) heirateten beide nach Niederreifenberg und arbeiteten dort als Nadler.
  • Josef Wagner heiratete die letzte Erbin der Familie Trautmann, einer wohlhabenden Müllerfamilie, die seit mehreren Generationen in Niederreifenberg wohnte. Er ist der sogenannte "Millorzt" gewesen und betrieb eine Schleifmühle, die er von den Trautmanns kaufte. Fast das gesamte Gebiet unterhalb der unteren Hauptstraße, bis zur heutigen von-Eichendorff-Straße, gehörte Josef.
  • Die Firma Usinger konnte zu Beginn ihres Bestehens keine Nadeln schleifen und ließ ihre Nadeln gegenüber bei dem Mühlarzt und Nadler Wagner, sicher Josef, schleifen.

Stammbaumforschung zu den Nadlerfamilien Wagner und Dinges.

Die neuesten Erkenntnisse zum "Nadlerhaus Wagner" können detailliert hinter diesem Link nachgelesen werden.

Auch wenn es vielleicht schwer fällt, es zu glauben: Das Mühlbachhaus ist eine echte Rarität, auf die Reifenberg stolz sein darf. Nagelschmiede-Häuser gibt es noch zuhauf. Ein Nadlerhaus im ursprünglichen Zustand aber nicht. Zumindest im Hochtaunuskreis ist es wohl einzigartig. Im Herzogtum Nassau gab es nur einen weiteren Nadler-Fabrikationsstandort in Hachenburg (Rheinland Pfalz). Dort sind aktuell keine Nadlerhäuser gesichert bekannt. Aus Hessen ist uns, bis auf einzelne Meister in Frankfurt und Limburg, nur noch eine alte Nadlerzunft in Kassel bekannt.

Hiesige Fabriken, wie z. B. Usinger, Ungeheuer, Herr, Riegel, Berbott oder die Oberreifenberger Firma Anton Beuth (und damit auch die Drahtwaren- und Holzwollfabrik in Niederreifenberg) hatten ihren Ursprung in der Nadler- und Drahtwaren-Fabrikation. Weitere Nadlerfamilien sind nachweislich beispielsweise: Dinges, Burkard, Brendel, Krimmel, Ochs, Rudolf, Sturm, usw. Die Familie Bassing ist ebenfalls als Schleifmühlenbetreiber genannt. Dort steht heute die Firma Herr, die später damit Strom produzierte.

Es zeigt sich also: die Nadler-Geschichte betrifft in der Gemeinde Schmitten nicht nur Ober- und Niederreifenberg, sondern berührt auch Arnoldshain und Seelenberg.