Zierleiste v01

Die Suche nach der Nadlerwerkstatt der Firma Ungeheuer in Oberreifenberg deckte nun ein weiteres, nicht mehr existierendes Nadlerhaus in der Vorstadt auf.


Seltsames Doppeldach-Haus
auf dem Gemälde von Pei-
pers im Jahre 1833. Quelle:
Geschichtsverein Hochtaunus

Als der Geschichtsverein Hochtaunus e.V. vor einigen Jahren ein Gemälde aus dem Jahre 1833 von Friedrich Eugen Peipers erwarb und restaurieren ließ, fiel das erste Mal ein kleinen Häuschen mit einem seltsamen Vordach auf. Dieses Haus ist auch noch auf weiteren Gemälden und sogar auf Bildern der 1930er Jahre zu sehen. Der Vater eines Mitgliedes erzählt darüber, dass er als Kind am engen Durchgang zwischen Frankfurter Hof und dem Gebäude immer einen Stromschlag am Regenrohr erhielt.

Das Haus rückte nun erneut in den Fokus des Pfarr- und Ortsarchivs Reifenberg. Denn man war bereits seit geraumer Zeit auf der Suche nach der Nadler-Werkstatt der Gebrüder Ungeheuer. Erste Vermutungen, dass diese in einem Gebäude der Gastwirtschaft Ungeheuer (heute Haus Reifenberg) gelegen hatten, erschienen unwahrscheinlich. Johann Anton, wie auch sein Bruder Johann (genannt der "4."), waren beide in Niederreifenberg geboren und hatten ihre Lehrzeit in der Nadlerwerkstatt in Durlach verbracht, wie auch viele ihrer Vorfahren.


Doppeldach-Haus auf dem
Gemälde von Knippler.
Quelle: Peter Dorn

Aus verschiedenen Dokumentationen war bekannt, dass die beiden Brüder ihre Werkstatt nicht in Nieder-, sondern Oberreifenberg betrieben hatten. Johann Anton stellte vermutlich auch dort 1855 die ersten Werkzeuge zur Produktion von Sicherheitsnadeln her. Die Idee dazu hatte er von Reisen mitgebracht.

Eine genauere Untersuchung von deren Besitz in Oberreifenberg zeigte, dass Johann Anton zwei Häuser besaß. Beide Häuser waren aber in den Stockbüchern nicht als Nadlerwerkstatt eingetragen. Wo das zweite Haus von Johann Anton zu finden war, wusste man auch noch nicht. Sein Bruder Johann besaß in Oberreifenberg lediglich eine Wiese.


Vergleich der Häuser von
1845, 1873 und 1938. Die
Besitzer im Bild von 1873
sind um 1900 genannt.
Quelle: B. Kärtner

Aus einem anderen Dokument wusste man aber, dass ein Johann Ungeheuer an der Burg lebte und dort auch den alten Kirchenkeller für 15 Jahre gepachtet hatte. Bei genaueren Untersuchungen zeigte sich aber, dass dieser Johann (genannt der "5.") nichts mit den beiden zu tun hatte. Darüber hinaus war auch noch die Existenz eines Clemens Ungeheuer bekannt, der in der Vorstadt ein Haus besaß. In diesem ehemaligen Laden der "Schwarze Kätha", war früher eine Schmiede-Werkstatt seines Vaters eingerichtet. Dieser hieß ebenfalls "Johann", war aber leider "der 6.". Die verschiedenen Johanns brachten die Sache also nicht voran.

Auf einer alten Zeichnung aus dem Jahre 1938 fiel bei der Recherche dann aber wieder das alte Häuschen mit dem doppelten Dach auf. Dieses war 1938 im Besitz eines Anton Usinger, dem auch der Frankfurter Hof gehörte. Das Haus Reifenberg gehörte damals Theodor Usinger, dessen Sohn. Da wurde plötzlich klar: dies kann nur das Haus des Johann Anton Ungeheuer gewesen sein, da es über diesen an die Usingers kam. Über die Stockbücher von Oberreifenberg fanden sich folgende Besitzer des Hauses (36 auf 23 Schuh):

Band 1 Artikel 50: Witwe des Josef Ochs, Anna Maria Vest und Mathias Sturm. Die Witwe Ochs verkaufte ihren Anteil des Hauses im Jahre 1854 an Johann Anton Ungeheuer. Matthias Sturm (oo Elisabeth Meister) besaß hier bereits den 1. Stock von einem Kauf aus dem Jahre 1846, von wem ist unbekannt.

Band 2 Artikel 174: Johann Anton Ungeheuer und Matthias Sturm besitzen gemeinsam ein Haus, welches aus (dem vorgenannten) Artikel 50 stammt. Johann Anton Ungeheuer besitzt das Erdgeschoss mit Kauf von 1854. Matthias Sturm (oo Elisabeth Meister) verkauft seinen Anteil 1863 an Johann Schmidt (Artikel 231)

Band 2 Artikel 231: Johann Anton Ungeheuer (fälschlich hier als "Johann Anton Sturm" eingetragen) und Johannes Schmidt besitzen das Haus gemeinsam. 1863 verkauft Johannes Schmidt seinen Anteil an Art. 86 Johann Anton Ungeheuer. Schmidt zog damals in den neu erworbenen Bassenheimer Renthof, aber hier besaß Johann Anton das Haus vollständig.


Fastnacht 1898: Im Hinter-
grund die Nadlerhäuser der
Familien Wagner, Ochs, Un-
geheuer, Sturm und Schmidt.
Quelle:  SGO Oberreifenberg

Das Interessante an dieser Geschichte: Johann Schmidt (jun.) ist Sohn des Niederreifenberger Nadlers Johann Schmidt (sen.) und stellte ebenfalls Drahtwaren her. Wir kennen den Junior als Besitzer des Bassenheimer Renthofs, wo er "Draht- und Filetwaaren" produzierte und vertrieb.


Nadlerfamilien
Bassing-Schmidt
Quelle: B. Kärtner

Als sein Vater Johann (sen.) starb, hatte seine Mutter den Niederreifenbergers Nadler Johann Bassing (jun.) geheiratet. Bassings und Schmidts lebten direkt nebeneinander in der Hauptstraße. Johann Schmidt senior lebte in der früheren Herren-Mühle, während Bassing im Wohnhaus der Firma Adam Herr lebte. Beide Johann Bassings (sen. + jun.) und Johann Schmidts (sen. + jun.) sind als Nadler nachgewiesen. Johann Matthäus Schmidt, der Vater von Johann senior, ist in Nieder-Wesel geboren, hatte eine Ungeheuer aus Niederreifenberg geheiratet. Johann Matthäus' Vater wiederum, Johannes Schmidt, war der frühere Müller der Hattsteiner Mühle.

Aber auch Mathias Sturm ist als Nadler wohlbekannt. Dessen Vater Mathias Sturm senior war ebenfalls Nadler und seit 1812 verheiratet mit Katharina Wagner, ebenfalls aus der großen Nadlerfamilie Wagner: Ihr Bruder Conrad Wagner war nachweislich Nadler.


Kirmes in den 1930ern:
Hinterer Hof und Gebäude
sind gut zu erkennen.
Quelle: Ursula Großmann

Damit aber noch nicht genug: Selbst der genannte Josef Ochs, der 1850 Anna Maria Vest heiratete, war Nadler.

Die Quintessenz aus dieser Sache: Man weiß jetzt nicht nur, wer in dem seltsam aussehenden Haus wohnte, sondern weiß auch was darin geschah. Darin wohnten über die Jahre hinweg nicht weniger als vier unterschiedliche Nadler-Familien.  Erneut wird damit allzu deutlich vor Augen gehalten, wie verzweigt und verbreitet das Nadlerwesen auch in den Oberreifenberger Familien gewesen ist. Blickt man nun auf das alte Fastnachts-Foto von 1898, sieht man plötzlich ausschließlich Häuser die in Nadlerbesitz waren! Es würde daher nicht überraschen, wenn in der Vorstadt künftig weitere Nadlerhäuser nachgewiesen werden können.