Zierleiste v01

Veröffentlicht vom PFORA bei PLE am 03.06.2022:


Wenn ich dienstags- oder donnerstags mittags im Archiv bin, schaue ich oft vorher im Café vorbei, um noch gemütlich eine Nussecke und einen Kaffee zu genießen. Dabei treffe ich oft Christof und wir reden dann ein wenig über die guten alten Zeiten oder Gott und die Welt.

Neulich, als ich schon aus dem Café gehen wollte, bat er mich noch einen Moment zu warten, da er mir etwas zeigen wolle. Er holte eine alte, verrostete kleine Pistole hervor und wollte wissen, wie alt diese wohl sein könne. Das lange nicht mehr funktionsfähige Stück schien mir, ziemlich alt zu sein. Das "Piston" zur Befestigung der Zündhütchen am Perkussionsschloss sowie der Bügel unter dem Auslöser fehlten. Wir fertigten einige Fotos an.

Kurz darauf sprach ich mit unserem Forscherkollegen, Herrn Dr. Heinz-Peter Mielke, darüber, der ebenfalls sehr interessiert war. Mit einer genauen Einschätzung tat er sich etwas schwer und schlug deshalb vor, das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt bzw. die "Gesellschaft für Historische Waffen- und Kostümkunde" zu kontaktieren. Letzteres war für mich besonders interessant, da ich immer noch auf der Suche nach vergleichbarer, zeitgenössischer Kleidung wegen "unseres" General Villeneuves bin.

Beide Institutionen antworteten schnell und lieferten ähnliche Aussagen: Die Pistole ist ein sogenanntes "Terzerol", ein Art zivile Handtaschen- oder Schreckschusswaffe, die seit etwa 1825 bis in die 1930er Jahre als Massenprodukt in Lüttich und Mehlis (Thüringen) hergestellt wurde. Früher verwendete man sie primär zum Vertreiben von Vögeln aus Wein- und Obstgärten. Im Volksmund sprach man auch von einer "Weinbergpistole". Man konnte sie aber natürlich auch als eine Art "Schutzpistole" benutzen, da sie ein echter Vorderlader ist.

Natürlich fragte ich mich, was eine Weinbergpistole in Reifenberg zu suchen hatte, denn die Zeit unseres herrschaftlichen Wingerts in Reifenberg war ja schon etwas länger vorbei, vermutlich weil einige Trinker davon blind geworden waren. (Auch wenn im "Dorftratsch" zuletzt aus Spaß gemutmaßt wurde, dass man es am Sängelberg vielleicht nun wieder versuchen könnte.)

Ich vermutete deshalb zunächst, dass diese vielleicht der Familie möglicherweise von außerhalb geschenkt worden sein könnte. Da ich auf den Bildern aber auch keine Beschauzeichen finden konnte, wollte ich sie mir noch einmal genauer ansehen.

Als ich mich dienstags erneut mit Christof (und meiner Nussecke mit Kaffee) traf, berichtete ich von unseren Erkenntnissen. Da erinnerte er sich, dass sein Vater und auch andere Personen früher immer von einem "Dazzerölsche" oder "Derzzerölsche" gesprochen hätten. Bei der Frage nach der Herkunft stellte sich heraus, dass sein Vater die Pistole 1983 unter einer abgerissenen Garage gefunden hatte. In Reifenberg wurden gegen Kriegsende viele Waffen versteckt, da man befürchtete, diese auf Druck herausgeben zu müssen. Vermutlich gehörte diese auch dazu, geriet dann aber in Vergessenheit.

Der Begriff "Dazzerölsche" beweist aber, dass es früher ein gängiger Begriff in Reifenberg gewesen sein muss. Die Abwandlung des Namens erklärt sich leicht durch eine Zersprechung des Begriffs. So wie früher der Vater die Tochter warnte "Mach mer kaa Fissimatente" um sie vor dem Besuch eines französischen Soldatenzelts zu warnen ("Visiter ma tente!") oder der Metzger - mit Spitznamen "Mordsches Alfred" - seine Kühe nicht hinrichtete. Er besaß lediglich einen Großvater namens Martin (=Mardsche). So kann aus der kleinen Terzerole einem Terzerölchen und dann ohne weiteres ein Derzzerölsche sowie Dazzerölsche geworden sein.

Der Grund für den Einsatz des Geräts erschließt sich auch. Denn vor dem Krieg gab es in und um Reifenberg noch etliche Felder, die bewirtschaftet wurden. Dabei waren sicher auch Obstfelder. Ich kann bezeugen, dass bei uns im Garten sogar mal leckere Erdbeeren wuchsen, man glaubt es kaum. Den Nachbarraben hielt mein Vater allerdings mit einer Abdeckung aus Kunststofffolie ab. Aber kunststofflosen Zeiten wurde sicher auch bei uns geballert. Mit dem Dazzerölsche.

Die Moral von der Geschichte: Es schlummern sicherlich noch viele solcher spannenden Kleinode in manchem Keller oder auf dem Dachboden, die nur darauf warten, von uns wiederentdeckt zu werden. Wir freuen uns daher über jede Gelegenheit, Stück für Stück ein bisschen mehr Licht in unsere interessante, längst vergangene Reifenberger Kultur zu bringen.

Deshalb möchte ich Euch auch hier noch einmal dazu aufrufen: Schaut doch einfach bei Euch nach, ob ihr solche "Dinge" zuhause findet. Dann treffen wir uns einfach mit Eurem eigenen "Dazzerölsche" bei einem Nussecksche im Cafésche oder auch gerne bei uns im Ortsarchiv im Pfarrhäussche. Wir wollen es auch gar nicht behalten, sondern nur die Geschichte dazu entdecken und festhalten.
In diesem Sinne: Gehabt Euch wohl!

Author: B. Kärtner, Fotos: C. Waldschmitt


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