Wieder-Veröffentlicht bei PLE am 21.01.2015
Der ehemalige Nagelschmied entwickelte sich zum großindustriellen Produzenten, der zunächst aber nur mit seiner Verwandtschaft arbeitete. Steigende Arbeitsaufträge hatten mit der Zeit auch steigende Arbeiterzahlen zur Folge. Er versuchte auch stets, sich technisch weiterzuentwickeln. In den sechziger Jahren stellte er sogenannte Telegraphenklöbchen her, die als Befestigungsmaterial von Telegraphenverbindungen dienten. Im Jahre 1866 beschäftigte er bereits 12 Arbeiter.
Da er die erteilten Aufträge nicht mehr alleine bewältigen konnte, war er froh über jede Konkurrenz, die ihn entlastete. Er half ihnen sogar dabei. So entstand in der zweiten Hälfte des siebten Jahrzehnts in Niederreifenberg eine kleine Werkstätte mit drei bis vier Arbeitern, in der Installationsprodukte angefertigt wurden. ( Eventuell Firma Wilhelm Herr ??? gegründet 1869).
Viele Jahre war die Herstellungsweise der einheimischen Nagelschmiederei sehr primitiv. Dies änderte sich erst mit den ersten Versuchen des Dampfbetriebes im Jahre 1879. Gottlieb Schnapper Arndt berichtet von dem ungewohnten Anblick eines zwischen den niederen Häusern in die Höhe ragenden Schlots."
Die neu aufgestellte Dampfmaschine, die den 16 Arbeitern mit einem Pfiff Beginn und Ende der Arbeitszeit ankündigte, bestand aus einem etwa 1 m im Durchmesser großen Kessel mit anmontiertem Zylinder. Dieser Kessel war wohl im abgebildeten Kesselhaus untergebracht und stellte den Beginn einer modernen Fabrikform dar.
An der Stelle, wo später das große Fabrikgebäude entstand, befanden sich vorher mehrere Hütten und kleinere Häuschen, die Paul Sauer allesamt aufkaufte um sein stattliches Haus zu erbauen. Einige Zeit später brannte es allerdings völlig ab und Paul Sauer baute ein noch größeres Haus, das auf vielfältige Weise genutzt wurde.
Das Erdgeschoss war für die Werkstätten vorbehalten. Im oberen Stockwerk war auf der einen Seite eine Gastwirtschaft und auf der anderen Seite ein Laden untergebracht, der vorher bereits an anderer Stelle bestand.
All dies zusammen bildete das sogenannte Etablissement Paul Sauer. Der Gasrohrhakenfabrikant verstand es auf vielfältige Weise, sich seine Unabhängigkeit zu erhalten und andere in seine Abhängigkeit zu bringen.
Die Abhängigkeit der Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitgeber festigte er damit, dass er in der Neugasse neue Wohnhäuser errichtete, die seine Arbeiter von ihm kaufen konnten.
Das Darlehen hierfür erhielten sie selbstverständlich von Paul Sauer.
Für ihre Arbeitsleistung erhielten die Arbeiter ihren Lohn nicht in Form von Geld, sondern als Blechmarken, die im gesamten Etablissement Sauer ausgegeben werden konnten. Als andere Geschäfte anfingen, die von dem Fabrikanten herausgegebenen Wertmünzen zu akzeptieren und ebenso in Zahlung zu nehmen, verlor das Zahlungsmittel seinen Zweck und wurde kurz darauf abgeschafft.
Die Arbeitszeiten begannen um 5 Uhr morgens und endeten um 19 Uhr abends. Mittags gab es eine zweistündige Pause, so dass bei einem 14 stündigen Arbeitstag eine 12 stündige Arbeitszeit heraus kam.
Paul Sauer verlangte auch von seinen Arbeitern, an Sonntagen seine Gastwirtschaft aufzusuchen. Gingen diese mal zum anderen Gastwirt, oder blieben dem Etablissement fern, mussten sie am folgenden Tag damit rechnen, von ihrem Arbeitgeber zur Rede gestellt zu werden. Anfänglich erfolgte dies in Form einer wohlmeinenden Ermahnung, die bei Rückfälligkeit immer größere Folgen hatte.
Als ein Arbeiter von Paul Sauer, an einem Sonntag vom rivalisierenden Gastwirt der gleichfalls auch Bürgermeister war, als Spaßmacher engagiert wurde, musste dieser über längere Zeit eine Kürzung des Lohnes in Kauf nehmen. Aufgrund des immer stärker ansteigenden Wirtschaftswachstums dehnte sich das erste großindustrielle Unternehmen im Feldberggebiet immer weiter aus. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden noch zwei weitere Werkstätten eingerichtet.
Paul Sauer ist am 27.9.1836 in Reifenberg geboren und starb am 15.12.1892 ebenfalls in Oberreifenberg. Zu dieser Zeit zählte das Werk 40 Arbeiter.
Einschneidende Änderungen in der Produktionsweise führte erst Paul Sauers Sohn ein, indem er Anfangs der neunziger Jahre eine Exzenterpresse für die Hakenfabrikation anschaffte. Diese Maschine machte es möglich, den Haken, der bisher ausschließlich handwerklich hergestellt wurde, vorzuschneiden. Fortan wurde die Einschlagspitze geschnitten, so dass nur noch die Feder zum Schmieden übrig blieb. Somit waren die technischen Bedingungen für eine Massenproduktion geschaffen. Die Maschine schaffte die 13-fache Arbeitsleistung pro Tag im Vergleich zur herkömmlichen Handarbeit. Diese neuzeitliche technische Errungenschaft erforderte auch einen erhöhten Platzbedarf, so dass der junge Unternehmer ein neues Fabrikgebäude außerhalb des Ortes errichten ließ. (vermutlich die Salzgrund-Gebäude)
Zusammengestellt von S. Eckermann.
Quellen: Alphons Sußnitzki "Die ehemals Bassenheimer Herrschaft aus dem Hochtaunus - Eine wirtschaftspolitische Studie" S.86 bis 119 (Jena), Verlag von Gustav Fischer 1912. Fotos: Bilder von S. Eckermann, B. Kärtner und S. Schneikert.